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Kritische Distanz

Standpunkt
von Elmar Emde und Thomas Knapp
erschienen 19.08.2017, Nr. 192, S.30

Die Vermögen im Mittelstand sind in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich, zuletzt sogar eher sprunghaft gestiegen. Im Wesentlichen ist dies bedingt durch die glückliche Friedenssituation in Westeuropa seit nunmehr über siebzig Jahren und durch die dadurch mögliche Weitergabe des Vermögens, vor allem durch die Vererbung von Unternehmen in die zweite oder dritte Generation oder durch Veräußerung an strategische oder Finanzinvestoren. Und zahlreiche neue Geschäftsideen vor allem in der Technologie führen schnell zu erheblichen Vermögenswerten. Alle diese Faktoren tragen bei zum Wachstum der privaten Vermögen, die mit Weitblick und Vernunft investiert sein wollen.

Kann der Vermögensinhaber ein privates ein- oder zweistelliges Millionenvermögen in der Regel selbst ordentlich managen, so steigen die Anforderungen an die Professionalität bei höheren zweistelligen und bei dreistelligen Millionenvermögen - und erst recht im Milliardenbereich. Die Komplexität der Vermögensteile nimmt exponentiell zu, es bedarf umfangreicher professioneller Unterstützung des Unternehmers und seiner Familie.

Aus dieser Bedarfssituation heraus haben sich eine Vielzahl von "Family Offices" (FO) herausgebildet - als "Single Family Office" (Single-FO) nur für eine Vermögensinhaber-Familie, als "Multi Family Office" (Multi-FO) für eine größere und voneinander unabhängige Zahl anspruchsvoller vermögender Persönlichkeiten - mit unterschiedlichen Strukturen und Expertisen, zugeschnitten auf die Höhe und die Komplexität des jeweiligen Vermögens. Ein Kennzeichen eines Family Office ist dessen Bezahlung ausschließlich durch den Vermögensinhaber und nicht über Vermittlungsprovisionen aller Art durch die Finanzbranche, wodurch eine größtmögliche Objektivität in der langfristigen Zusammenarbeit erreicht wird. Erfahrungswerte haben gezeigt, dass sich die Kosten des Family Office durch vermiedene Kapitalverluste, günstiger verhandelte Konditionen und stabilere Erträge beim Vermögensinhaber schon kurzfristig deutlich rentieren. Außerdem beschert die Dienstleistung eines Family Office dem Vermögensinhaber eine Menge mehr zeitlichen Freiraum für Dinge des Lebens, für die er eine bessere Expertise besitzt und mehr Interesse hat.

Single-FO können aus nur einer Person (und damit zwangsläufig eingeschränkter Expertise) bestehen oder aus einem ganzen Team von Experten bei deutlich größeren Vermögen. Da auch sie letztlich immer nur einen Vermögensinhaber und dessen Familie bedienen, ergibt sich eine Art Angestelltenverhältnis und damit tendenziell die Gefahr, dass dieses Single-FO nicht objektiv, sondern erwartungsgeleitet urteilt und berät. Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass relevante Veränderungen aufgrund fehlender Vergleichsmöglichkeiten nicht rechtzeitig erkannt und wahrgenommen werden.

Ein Multi-FO betreut mehrere Vermögensinhaber mit meist unterschiedlichen Anforderungen und internationalen Vermögens- und Familienstrukturen, wodurch das Multi-FO einen ganz anderen Erfahrungshorizont erreicht und dieses Wissen nutzbringend für alle Mandanten anwenden kann. Aufgrund dieser Diversifikation besteht kein angestelltenähnliches Verhältnis mit der Folge, dass ein Multi-FO freier und neutraler beraten kann und auch ein hilfreicher Sparringspartner für die Familie sein wird.

Da die Aufgaben eines Family Office in der Regel das Controlling aller Vermögenspositionen des Prinzipals umfasst, ist das notwendige Kompetenzfeld weit - internationales Recht, internationale Steuer, Immobilien(entwicklung), Immobilienverwaltung, unternehmerische Beteiligungen und die Anlage des liquiden Vermögens. Und es geht nicht nur um die Controllingaufgaben im Rahmen des vorgefundenen Bestandes an unterschiedlichen Vermögenswerten, sondern um strategische Allokation der Vermögen passend zum Vermögensinhaber. Dies ist ein laufender quasikybernetischer Planungs-, Steuerungs- und Kontrollprozess, der auch das Screening neuer Investitionsmöglichkeiten in allen genannten Feldern einschließt. Nicht alle diese Kompetenzfelder hält das Family Office in der nötigen qualitativen Tiefe im eigenen Hause vor, von entscheidender Erfolgsrelevanz sind die Auswahl und der Kontakt zu den einschlägigen Spezialisten im Rahmen eines gleichermaßen stabilen wie auch offenen Netzwerks.

Bei beiden Family-Office-Typen muss grundsätzlich eine eigene Kreditexpertise vorausgesetzt werden, da der Prinzipal letztlich und zu Ende gedacht als Investor in der Funktion eines Kreditgebers fungiert. Zumindest gleichgewichtig neben der erzielbaren Rendite und teilweise sogar vorrangig geht es um die Bonitätsanalyse, also um die Frage, mit welcher Sicherheit die Rückzahlung des investierten Kapitals erfolgen wird, unabhängig von der formalen Frage des Eigen-, Fremd- oder Hybridkapitalcharakters unter Bilanzierungsaspekten. Ist eine solche Expertise im Family Office nicht vorhanden, sollte der Vermögensinhaber von einer Zusammenarbeit eher Abstand nehmen.

Unabhängig von den individuellen Vermögensschwerpunkten des einzelnen Prinzipals ist eine Notwendigkeit immer gegeben: die Verwaltung des liquiden Vermögens. Sie wird häufig schon deshalb extern vergeben, weil die sonstigen Aufgaben eines Family Office das tägliche Beobachten der Börsen und das Reagieren darauf in den wenigsten Fällen zulassen.

Hier kommt die professionelle Vermögensverwaltung (W) ins Spiel, die, früher überwiegend eine Domäne der Groß- und Privatbanken, inzwischen häufig von bankenunabhängigen Vermögensverwaltungsgesellschaften wahrgenommen wird. Im Netzwerk des Family Office werden die entsprechenden Kontakte immer vorhanden sein. Welche Adressen für eine Unternehmerfamilie am besten passen, wird das Family Office in Kenntnis der Persönlichkeitsstruktiir der Vermögensinhaber und nach der grundsätzlichen Formulierung der strategischen Allokation dem Prinzipal vorschlagen. Im Rahmen eines wettbewerblichen "Schönheitswettbewerbs" werden sich grundsätzlich geeignete Vermögensverwaltungen vorstellen und die aus ihrer Sicht sinnvolle Umsetzung der ihnen vorgegebenen Anlagerichtlinien konkret präsentieren. Prinzipal oder das Familiengremium werden ihre jeweiligen Eindrücke mit dem Family Office abgleichen und sich über die Mandatierung eines oder mehrerer Vermögensverwaltungen einigen.

Entweder erhalten alle mandatierten Vermögensverwaltungen die gleichen Anlagerichlinien, womit sich ein mittelfristiges "Pferderennen" ergibt. Oder die ausgesuchten Vermögensverwaltungen werden mit unterschiedlichen Richtlinien rnandatiert. So ist es durchaus Usus, europäische Aktienmandate in Deutschland zu vergeben, Rentenmandate (noch) in London, nordamerikanische in den Vereinigten Staaten und asienorientierte Mandate vor Ort, was allerdings auch eine Frage der jeweiligen Mandatsgröße ist.

Wie bei der Honorierung des Family Office (ausschließlich durch den Prinzipal), so ist auch bei der Vermögensverwaltung sicherzustellen, dass die Bezahlung durch den Kunden erfolgt und nicht etwa von dritter Seite. Nur so ist ein Handeln ausschließlich im Kundeninteresse gewährleistet. Dabei bevorzugen Kunden nach unserer Erfahrung die Spaltung des Honorars in eine geringe fixe Vülumenskomponente und in eine erfolgsorientierte Komponente mit "High Watermark". Sinnvoll ist, den Erfolg nach Kosten zum Maßstab zu nehmen, so wird der Vermögensverwalter schon im Eigeninteresse jegliche überflüssigen Kosten für den Kunden vermeiden.

Ist die Auswahl der zu mandatierenden Vermögensverwaltungen abgeschlossen, sind die jeweils einschlägigen Anlagerichtlinien formuliert und ist danach der Startschuss gefallen, kommt dem Family Office eine permanente Controllingaufgabe zu. Durch die häufige, bei größeren Vermögen tägliche Zusammenfassung der Positionen der einzelnen Vermögensverwaltungen werden Verletzungen von Anlagerichtlinien ebenso erkannt wie zufällige Klumpenrisiken. Hier ist - mit der entsprechenden Software - der tägliche Stand des liquiden Familienvermögens erkennbar, und die Wertentwickhmg steht nach kaufmännischen und auch steuerrechtlichen Kriterien zur Verfügung. Eine aktuelle Transparenz, die bei den illiquiden übrigen Anlagen der Familie so nicht möglich ist.

Aus Sicht des Prinzipals ist die unabhängige und kritisch-konstruktive Zusammenarbeit zwischen seinem Family Office und den Vermögensverwaltungen ideal: Die Kontrollmöglichkeiten, die sich aus dem Zusammenwirken dieser unabhängigen Partner ergeben, führen meist schon kurzfristig, langfristig aber immer zur bestmöglichen Pflege des Vermögens im Sinne des Kaufkrafterhalts auch über Generationen. Die im Austausch mögliche Identifizierung neuer sinnvoller Anlagechancen und die konsequente Führung der mandatierten Vermögensverwaltungen nach deren qualitativen Erträgen sind ein entscheidender Erfolgsfaktor für das Vermögen der anspruchsvollen Familie.

Elmar Emde ist Inhaber der E. Emde Finanz- und Vermögenskoordination in Gengenbach. Thomas Knapp ist Geschäftsführer der Fiduka-Depotverwaltung GmbH in München.



 

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